Mit Stärke, Leidenschaft und Pride durch die Welt

Ein Tag im Leben des Ballroom Powerhouse David Mendez

Als David Mendez 2016 bei seinem ersten Ball in Berlin auftrat, konnte er endlich durchatmen. Endlich fühlte er sich gesehen. Mit seinem aufgeknöpften weißen Hemd, Skinny Jeans, die seinen durchtrainierten Körper betonten, und wuscheligem Haar lief er zu All American Runway, einer Ballroom-Kategorie, die männlichen Models gewidmet ist. „Ich wollte nicht direkt sagen, ich bin schwul. Mich direkt so öffnen”, erzählt mir der gelernte Musicaldarsteller und Tänzer, während er zu Atem kommt. Es ist ein heller, aber bewölkter Tag in Berlin. David trägt ein zartgelbes T-Shirt und eine schlichte Goldkette, die seinen charismatischen Charakter betonen. Er bewegt sich durch die Stadt, die ihm vor Jahren die Türen geöffnet hat.

David konnte sich ausdrücken, ohne dass jemand sagte: „Du tanzt zu feminin.“ Er war bereits ein erfahrener House- und Hip-Hop-Tänzer „in einer von Männern dominierten und homophoben Szene. Es war normal, dass Leute Dinge ‚schwul‘ nannten oder dachten, dass Männer keine High Heels tragen sollten. Ich war zu der Zeit nicht geoutet und ich wollte mich nicht bloßstellen, also blieb ich leise und war nicht richtig in die Szene integriert“, sagt er.

Sechs Jahre später scheint David ein Künstler mit grenzenlosem Selbstvertrauen zu sein. In der Zeit wurde er David Milan und zum deutschen Vater des ‘House of Milan’. Er stärkte sich und andere unermüdlich und förderte neue Talente. Gleichzeitig baute er sich eine vielversprechende Schauspielkarriere auf. „Mach immer weiter und gib niemals auf. Verfolge Deine Träume. Sei frei.”

Seine Botschaft? "Wir sehen Dich. Wir geben Dir die Kraft und das Selbstvertrauen, so zu sein, wie Du wirklich bist“, schwärmt er. „Ballroom ist wie eine Schule des Lebens. Bei einem Ball auszuscheiden, bedeutet, dass Du Dich das nächste Mal besser vorbereiten musst – dass Du einen besseren Weg finden musst, Deine Geschichte zu erzählen.“ David tanzt sowohl Old Way, den ursprünglichen Voguing-Stil, der sich durch klare Linien, Symmetrie und Präzision auszeichnet, als auch Vogue Fem, weichere, weiblichere Bewegungen, die von Ballett, Jazz und modernem Tanz beeinflusst sind. Sein Stil ist eher schick und klassisch, weniger extravagant als der einiger seiner Familienmitglieder: „Ich habe eine tragende Rolle und möchte so auch wahrgenommen werden.“

David wurde 2017 zum Vater des Deutschen ‘House of Milan’. Kurz vorher lief er zur Kategorie Pretty Boy Realness, die dem Überlebenskampf unterdrückter Stimmen gewidmet ist. Jean Paul Gaultier war in der Jury des Pariser Balls. „Da dachte ich, ich habe meinen Space gefunden“, erinnert David sich. Paris ist für ihn inzwischen zur Pflicht geworden. „Die Community ist eine Celebration gegenseitiger Unterstützung, Akzeptanz und Liebe“, sagt er mit einem Lächeln. Vor allem sein Vater und Mentor Icon Stanley (ehemals Stanley Milan) trainierte ihn in allen Aspekten der Subkultur. „Ich konnte mich auf ihn verlassen, egal wie klein oder groß das Problem war.“

In unseren beiden Gesprächen lerne ich, dass David unglaublich bescheiden ist; dass sein Auftreten Selbstbewusstsein und Bescheidenheit verbindet. Letzteres entspringt seinem tiefen Respekt vor denen, die ihm den Weg geebnet haben: „Ballroom, als Kultur, ist niemals tot. Dass wir frei leben können, verdanken wir denen, die vor uns dafür gekämpft haben.“ Er meint damit Schwarze Transfrauen, die Generationen zuvor die Subkultur zum Leben erweckt haben. „Ich habe gelernt, mich selbst zu akzeptieren, aber auch andere zu akzeptieren und zu akzeptieren, wer sie sein wollen und wie sie gesehen werden wollen.“

Davids Hoffnungen für die nächste Generation? „Dass Menschen leben und leben lassen. Dass Leute Fragen wie „Wer bist du?“ lassen. Ich frage ja auch keine heterosexuelle Person, ob sie heterosexuell ist oder auf Männer oder Frauen steht“, seufzt er und fügt hinzu, dass dieser Wunsch natürlich nicht nur die LGBTQI+-Community betrifft, sondern auch jede andere marginalisierte Community. (David würde sich freuen, mehr PoC und Latinx bei Events wie Pride vertreten zu sehen). „Hätte ich früher mehr Menschen gesehen, die so aussehen und leben wie ich, hätte mir das viele Fragen genommen.“

David ist in Cali, Kolumbien, geboren und zog mit 10 Jahren zusammen mit seiner alleinerziehenden Mutter und zwei älteren Schwestern nach Düsseldorf. „Tanz und Musik waren schon immer Teil meiner Journey“, sagt er, als er ein Stück Margherita-Pizza im Gazzo in Kreuzberg hält; in der anderen Hand hält er ein Glas Aperol Spritz. Er erinnert sich an aufregende Feiern mit Familie und Fremden und wie Calis reiche Salsa-Kultur ihm Zusammengehörigkeit gezeigt hat. Auch heute ist Davids Leben sehr lebendig. Als wir das zweite Mal über Zoom sprechen, ist er in Valencia, Spaniens entspannter Küstenstadt, von wo aus er Schnappschüsse von hoch aufragenden Palmen und eleganten Gebäuden vor strahlend blauem Himmel teilt; in der Woche zuvor war er für eine Produktion auf Teneriffa und traf in Barcelona und Madrid Ballroom-Communitys.

Wir sind jetzt auf dem Weg zum Else Club, dem Ort des heutigen KiKi-Balls, einem kleineren Wettbewerb für die nächste Generation. Das Thema? Workwear und Metall treffen auf gute Vibes. Was Davids Outfit erklärt: Eine königsblaue Arbeitshose, ein enges weißes Tanktop und silberne Ketten um Hals und Taille.

Auf unserem Weg dahin, mit Zwischenstopp bei Brammibal's Donuts am lebhaften Maybachufer, spricht er über Bewusstsein als sein aktuelles Hauptthema; zu lernen und zu wissen, was er wirklich will und womit er sich am wohlsten fühlt. Er liest The Power of Now über das Konzept der Selbstreflexion. „Bei den Balls geht es darum, Momente zu schaffen und vollständig in sie einzutauchen“, sagt er. Dieses Gefühl passt zu Davids ganzem Leben, ob auf oder hinter der Bühne.

Danke, David, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Du kannst Davids Journey auf Instagram. verfolgen. Fotos von Robert Rieger.
Text von Ann Christin Schubert

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