Die innere Stimmen finden mit Autorin Mirna Funk
Ein Gespräch über die jüdische Kultur, das Brechen von Regeln und die Magie des Schreibens
Mirna Funk hält mit ihrer Meinung nicht hinter dem Busch. Die in Berlin und Tel Aviv lebende Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Journalistin hat einiges über die moderne jüdische Kultur, Weiblichkeit und Selbstwert zu sagen. „Ich sage immer, meine Hobbys sind über Juden, Sex und Geld zu schreiben”, lacht sie als wir einen Tisch in der Roststätte finden, einem Café in Berlin Mitte. Mirna und ihre fünfjährige Tochter Etta haben lange auf der anderen Straßenseite gewohnt; seit unserem Gespräch leben sie in einer neuen Wohnung in der Nähe. Mutterschaft, als Thema, interessiert sie nicht mehr groß. „Ich will nichts mit der Mum-Bubble zu tun haben. Ich bin Mutter, ja, aber ich bin auch Frau, Schriftstellerin und Jüdin“, stellt sie offen fest.
Mirnas Arbeit bildet durch Vorträge, Kuration, Workshops und Kolumnen für Vogue Germany, Cosmopolitan, Edition F und Die Zeit, und ist geprägt von persönlichen Erfahrungen sowie aktuellen Ereignissen. Ihre Message an andere Frauen? „Ihr müsst selbstständig und unabhängig sein. Ich würde mich niemals in meinem Leben abhängig machen. Keine meiner weiblichen Peers oder Role Models hat das gemacht, meine Großmutter und Mutter waren beide unabhängig.“ Mirna hat nie anders gelebt. Derzeit studiert sie Philosophie im Master – mit dem Ziel, danach zu promovieren. Dass sie dabei Karriere macht und ihre Tochter großzieht, steht außer Frage.
Winternähe, Mirnas Debütroman, erschien 2015 und wurde mit dem Uwe-Johnson- Förderpreis ausgezeichnet. Ihr zweiter Roman Zwischen Du und Ich wurde im Februar 2021 veröffentlicht. Die Protagonistin in Winternähe ist Lola, eine in der DDR geborene Jüdin, die sich mit ihrer Familiengeschichte inmitten des Antisemitismus ihrer Gesellschaft auseinandersetzt. Die Geschichte spielt in Berlin, Tel Aviv und Thailand – drei Orte, die unterschiedliche Phasen ihres Lebens widerspiegeln. Lola ist scharfsinnig, schlau und selbstbewusst – so wie Mirna, die jegliche autobiografische Bezüge ablehnt: „So ein voyeuristisches Begehren kann ich gar nicht erfüllen. Das ist ja die große Kunst der Fiktion, Charaktere zu kreieren, die berühren, aber nicht existieren. Natürlich sind da autobiografische Züge, als Inspiration. Aber es ist nunmal nicht meine Familiengeschichte”, sagt sie.
Mirna wurde 1981 geboren und wuchs in der DDR auf. Zum Gedenken an die Wiedervereinigung Deutschlands postete sie am 9. November 2019 ein Bild, auf dem sie und ihr Vater nach 18 Monaten Trennung vor dem Felsendom in Jerusalem sitzen. Die Bildunterschrift beschreibt, wie seine illegale Flucht, motiviert durch die Suche nach seiner jüdischen Identität, ihre Kindheit radikal verändert und ihre Familie traumatisiert hat.
Seitdem spielt Israel eine allgegenwärtige Rolle in Mirnas Leben. „Für mich ist Zuhause im Flieger zwischen Berlin und Tel Aviv“, sagt sie. Würde sie nur in Berlin leben, würde sie Tel Aviv vermissen – und umgekehrt. „Hier bin ich mehr Jüdin, in Tel Aviv bin ich mehr Deutsche.“ Eigentlich verbringt sie viel Zeit in beiden Städten. Nicht mehr so oft in Tel Aviv zu sein, wo Ettas Vater lebt, ist seltsam: „Ich bin ein optimistischer Typ, deswegen habe ich während des Lockdowns auch immer wieder gebucht. Dass ich dann einfach nicht reingekommen bin, war ein unangenehmes Gefühl.“ Sie vermisst die Kultur, die Wärme, den lässigen Lebensstil – von einer Sonnenliege aus arbeiten und mittags Weißwein trinken. „Meine israelischen Freunde sind inniger, geselliger und super touchy – deswegen hat sich das Coronavirus dort auch so schnell verbreitet – und das pflege und tue ich dort mehr, weil es irgendwie normaler ist.“
Zwischen Du und Ich, Mirnas zweiter Roman, wird aus zwei unabhängigen Perspektiven erzählt – aus Nikes Sicht, einer Berliner Beraterin, und Noams, einem in Tel Aviv lebenden Politikjournalisten. Es geht um Gewalt, die transgenerationale Weitergabe von Traumata, und Bruchstellen, aber auch um Selbstliebe und die Liebe zu anderen. Laut Mirna spricht das Judentum viel darüber, wie man mit Bruchstellen leben kann. Sie versteht ihre Religion als eine Kultur und eine spezielle Art zu denken. „Es geht ganz viel um Zweifel, Streitbarkeit und viel mehr um Fragen als um Antworten. Aber auch um das Aushalten anderer Positionen – das ist etwas, das man vom Judentum lernen sollte und müsste.“
Was möchte sie ihrem Publikum mitgeben? „Ich möchte durch ehrliche und klare Sprache zeigen, dass man Tabus brechen kann und dass nicht jede Regel für immer bestehen muss. Nicht jede Antwort auf eine Frage ist absolut, nichts in dieser Welt ist von Bestand”, sagt sie. Mirna zeigt, wie sich gesellschaftliche Standards und Werte, aber auch menschliches Miteinander, ständig ändern. Einen Radar für gesellschaftlich auferlegte Tabus hat sie gar nicht. Das Schreiben hilft ihr beim Denken und dabei, ihre eigene innere Stimme klarer zum Ausdruck zu bringen – wodurch sie mehr Stabilität in sich selbst gewinnt: „Diese unendlich vielen Seiten Text, die haben mir geholfen, zu meinem Kern vorzustoßen.“
Voranzukommen bedeutet für sie, verinnerlichte Grenzen zu überwinden und sich selbst neue zu setzen – und nicht getrieben davon zu sein, Grenzen zu sprengen. „Diese Begrenzung gibt ja auch Sicherheit. Ich mache jetzt meinen Master, bewege mich in diesem Terrain und genieße es, erstmal dort zu sein, auch wenn ich vielleicht länger brauche als andere.” Wer Mirna kennt, weiß, dass nach ihrem Master noch viele Dinge folgen werden. Was sie wirklich antreibt, ist ihre Lebenslust. „Ich würde sofort so einen Vampir-Move machen. Ich habe noch so viel vor, so viele Leben, die ich leben will, so viele Erfahrungen zu machen und Berufe zu lernen”, sagt sie mit einem Lächeln.
Mirna Funk ist Romanautorin, Journalistin und Referentin. Sie lebt zwischen Berlin und Tel Aviv. Um mehr über ihre Reise zu erfahren, folgt ihr auf Instagram.
Porträts: Shai Levy
Text: Ann Christin Schubert