Rirkrit Tiravanija – eine Reise ins Unbekannte
Interview mit dem Jury Chair des Horizn Discovery Awards
Rirkrit Tiravanija ist einer der bedeutendsten Künstler seiner Generation und trotzt mit seiner Arbeit jeglichen Standards. Der ursprüngliche Thailänder kombiniert auf spannende Weise Objekte mit Performance- und Aktionskunst; als Juryvorsitzender des Horizn Discovery Award 2018 durfte er drei herausragende Künstler dazu einladen, ihre Projekte vorzuschlagen. Wir haben den Künstler Rirkrit Tiravanija getroffen, um mit ihm über die Ideen der Kunst, junge Talente und Reisen zu sprechen. Viel Freude beim Lesen.
Rirkrit, wir sind stolz darauf, dich als Juryvorsitzenden des Horizn Discovery Awards 2018 mit dabei zu haben. Was hat dich davon überzeugt, Teil des Horizn Art Programmes zu werden?
Ich schätze, das war die enorme Tragweite des Preises: die Idee, einen jungen Künstler am Anfang seiner Karriere zu finden sowie die zahlreichen Möglichkeiten, die für sie oder ihn von diesem Preis ausgehen.
Für den diesjährigen Award hast du drei großartige Künstler nominiert. Kannst du uns etwas über dein Auswahlverfahren verraten? Was hat dich dazu veranlasst, genau diese Künstler auszusuchen?
Mir waren zum einen kulturelle Diversität und unterschiedliche Ausführungen wichtig, zum anderen, dass die von mir ausgewählten Künstler noch nicht im Fokus der Kunstbranche stehen. Meiner Meinung nach arbeiten diese jungen Künstler hart daran, sowohl neue Kunstformen und Inhalte zu finden, als auch an dem Gedanken, was die Ideen der Kunst sein könnten. Zudem war ich sehr an denjenigen Arbeiten interessiert, die aus der Zusammenarbeit mehrerer Künstler entstanden sind – ob von einer kleinen Gruppe oder einer ganzen Community.
Hast du im Allgemeinen Spaß daran, junge Talente zu fördern? Was ist deiner Meinung nach das Wichtigste an dieser Art der Unterstützung?
Ja, ich unterrichte auch und bin sehr interessiert daran, mit jungen Künstlern und deren Ideen in Kontakt zu treten. Was mir an diesem Support am besten gefällt, ist dass Arbeiten umgesetzt werden können, die sich nicht nach dem aktuellen Kunstmarkt richten, sondern tatsächlich deren Inhalt und Aussage im Mittelpunkt stehen. So entsteht die Möglichkeit, Ideen der Künstler ganz ohne Kompromisse präsentieren zu können.
Deine Werke wurden schon weltweit ausgestellt und du hast bereits einige internationale Projekte gestartet – was bedeutet Reisen für dich?
Reisen bedeutet für mich, dass ich mit Diversität in Berührung komme; mit unterschiedlichen Menschen und Kulturen. Berührt zu werden bedeutet Ideen und dem Leben ausgesetzt zu sein – dadurch öffnet sich auch mein Verständnis anderen gegenüber.
Wo ist dein Zuhause?
Genau dort, wo ich gerade stehe.
Viele deiner Werke setzen sich mit Quasi-Objekten auseinander: etwas, das die pure Wesentlichkeit übersteigt, nur für einen Augenblick passiert oder über einen bestimmten Zeitraum und innerhalb kürzester Zeit spurlos verschwinden kann. Welcher Hauptgedanke steckt hinter diesem Ansatz?
Dass das Leben vergänglich ist, nichts für immer bleibt, dass Veränderung konstant ist und die Zeit vergeht. Dass der Wert nicht in Objekten liegt sondern vielleicht sogar in der Erfahrung, dass Teilen auch ohne Erwartungen passieren kann.
Eine Reise kann auch zum Kunstwerk werden, so wie die Wanderung auf der Chinesischen Mauer von Marina Abramovic und Ulay oder Alighiero Boettis Besuche in Afghanistan und Pakistan sowie Simon Starlings „Shedboatshed”. Gab es bei dir schon einmal ein Projekt, das zum Kunstwerk geworden ist? Falls nicht, wie würdest du es dir vorstellen? Wen würdest du gerne mitnehmen und wo würde es für euch hingehen?
Alles, was ich tue, geschieht innerhalb einer Reise. Ich unterscheide nicht zwischen Arbeit und Leben. Ich unterstütze Faulheit, zumindest die dahinterstehende philosophische Strategie. Jeder, der mich schon einmal berührt hat und den ich berührt habe, ist Teil dieser Reise, durch die mein Leben umgesetzt wird. Auf diese Weise wird Kunst sichtbar.
Über Rirkrit Tiravanija
Der Aktions- und Performancekünstler, der ursprünglich aus Buenos Aires und Thailand kommt, kombiniert auf spannende Weise Objekte mit außergewöhnlichen Performances. Tiravanija studierte in New York, Chicago sowie Kanada und lebt und arbeitet inzwischen als einer der bedeutendsten Künstler seiner Generation in New York, Bangkok und Berlin. Er ist bekannt für Aktionen wie temporäre Architektur und die Verwendung von Alltagsgegenständen, durch die er mit dem Publikum in direkten Kontakt tritt und immer wieder jeglichen Standards trotzt. Zudem gründete Tiravanija vor kurzem eine ökologisch orientierte Kommune in Thailand, die sich nachhaltiger Landwirtschaft widmet.
Seine Werke wurden bereits auf der ganzen Welt ausgestellt, unter anderem im Museum of Modern Art, New York, Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, dem Institute of Contemporary Art, Philadelphia, Serpentine Gallery, London, und auf mehreren Biennalen in Venedig.
Die Gewinner des ersten Horizn Discovery Awards: Art Labor Collective
Das aus Vietnam stammende Kollektiv legt seinen Fokus auf visuelle Kunst und die Wissenschaft des Lebens; wie diese Aspekte gemeinsam in den verschiedensten Kontexten der Öffentlichkeit und in unterschiedlichen Gebieten auftauchen. Art Labor Collective entwickelt keine einzelnen Kunstwerke, sondern Projekte, die eine jahrelange Reise vor sich haben – in der die Inspiration ein winziger Samen ist, der nur darauf wartet, zu wachsen. Der Samen gedeiht, die Inspiration steigert sich und wird schließlich zu den Wurzeln neuer Projekte und Kunstwerke.
Bei ihrem aktuellen Projekt Jrai Dew geht es vor allem um die kritische Betrachtung einer kapitalisierten Welt unter Einbezug mythischer Erzählungen aus der Vergangenheit. Die Gruppe der Jrai geht davon aus, dass Menschsein Teil des metamorphischen Zyklus der Natur ist: Nach dem Tod geht der Körper wieder in seine ursprüngliche Form zurück und wird wieder Teil der Umwelt – ein Zustand des Nichts; und der ehemalige Körper verwandelt sich in den Beginn einer neuen Existenz. Unter Verwendung von Materialien und Symbolen, die entweder das vietnamesische Hochland oder die brutalen historischen Veränderungen widerspiegeln, wird Jrai Dew auf poetische und gleichzeitig kritische Weise zur Szene des menschlichen Chaos.